Knorr-Bremse musste Haldex-Deal endgültig abblasen
Öffentlicher Druck in Schweden zwang Thiele zum Rückzug
Wie weiter bei Haldex?
… und Schluss! Am 19.09.2017, nach einem Jahr und zwei Wochen, war es endlich so weit: Knorr musste seinen Versuch, den Konkurrenten Haldex durch „Übernahme“ zu zerschlagen, einstellen. (KI hat am 21.09. kurz berichtet.) Mitte August hatte sich in der Haldex-Hauptversammlung noch eine Aktionärs-Abstimmungsmehrheit von Cash-geilen Hedgefonds hinter Knorr gestellt. Ermöglicht wurde dies durch die Enthaltung des größtem Aktionär und Ex-Bieters ZF, während die Einzelaktionäre, zumeist aus Schweden, gegen Knorr stimmten. Zu gerne hätte der Weltmarktführer Nutzfahrzeugbremsen Haldex nach dem Ausstechen von ZF Ende 2016 noch ein weiteres halbes Jahr schmoren und in der Luft hängen lassen. Am 07.09. musste der Münchner Konzern aber eine „herbe Schlappe“ („Handelsblatt“) einstecken. Die schwedische Börsenaufsicht SSC lehnte eine weitere Verlängerung der Aktienübernahme-Frist von 26.09. bis 09.02.18 ab – nachdem sie diese seit 2016 dreimal verlängert hatte, obwohl gesetzlich nur neun Monate erlaubt sind.
Die EU-Behörden hatten ihre Entscheidung über den Kartellfreigabe-Antrag bis spätestens 30.11.17 angekündigt. Zwar ließ Knorr nach der SSC-Ablehnung noch kurzfristig verlauten, man halte an der Übernahme fest. Dann aber wollten Eigentümer Thiele und sein Vorstandsvorsitzender Deller einer wahrscheinlich auch aus Brüssel zu erwartenden Klatsche doch zuvorkommen. Sie strichen die Segel – mit der Begründung, der Haldex-Vorstand verweigere die Zusammenarbeit. Das völlig überhöhte Angebot von 125 schwedischen Kronen pro Aktie (insgesamt 582 Millionen Euro, 18-facher Multiplikator des Haldex-Ebits) und das Kartellverfahren wurden zurückgezogen. Das „Oberbayrische Volksblatt“ vom 20.09. kommentierte: „Knorr-Bremse beugt sich den Realitäten. Die Widerstände – auch seitens der Kartellbehörden – waren letztlich zu groß.“
Schrammen für Patriarch Thiele – „Stoppt den Raubüberfall auf Haldex!“ –
So eine Schlagzeile von „Dagens Industri“ („Industrie heute“). In der schwedischen Presse wurde seit Herbst 2016 über den Knorr-Coup breit informiert, von „Svenska Dagbladet“ bis zur Zeitung „Affärsvärlden“ („Die Geschäftswelt“). Letztere veröffentlichte sogar 111 (!) Artikel. Über den Widerstand von Belegschaft und IG Metall in Heidelberg („Deutsche ‘Union’ gegen Übernahme“) wurde in der Presse ebenso berichtet. Am Ende spitzte sich der Druck der Öffentlichkeit, Knorr dürfe den kleineren Konkurrenten mit 2100 Beschäftigten nicht schlucken, zu. Uni-Professoren der „Stockholm School of Economics“ erstellten für das schwedische „Coporate Governance-Board“ sogar Gutachten gegen den Aktien-Deal, was nun im Nachhinein auch zur Verabschiedung neuer gesetzlicher Börsen-Regelungen führen soll. Dem konnte sich auch die SSC nicht entziehen, ohne die eigene Existenzberechtigung in Frage zu stellen.
„Schweden-Gegenwehr erfolgreich“, fassten dpa und Reuters zusammen. Der kurzzeitige Interims-Vorstandsvorsitzende von Haldex (davor zwei Jahre Finanzvorstand) wurde eine Woche nach dem Scheitern von Knorr-Bremse vom Haldex-Board als Dank zum Präsidenten und CEO befördert. Er hatte sich Ende Juni nach „ernsten Bedenken der EU-Behörden“ getraut, öffentlich von „feindlicher Übernahme“ zu sprechen: „Sechs von acht Haldex-Sparten überschneiden sich mit Knorr-Produkten. Eine Fusion ist sinnlos und wertvernichtend.“ Auch die „Frankfurter Allgemeine (FAZ“) konnte nicht anders, als den „Vorschlag“ von Knorr-Bremse, Haldex-Bereiche, die sich mit Knorr überschneiden, weiter zu veräußern, als „Zerschlagung“ zu bezeichnen.
Hoffnungen des Haldex-Vorstands auf Wiedereinstieg von ZF gedämpft
Bis zuletzt hat die Haldex-Führung auf eine Rückkehr von ZF gehofft, mit 20,1 Prozent größter Aktionär. ZF hatte 2016 sein Angebot für Haldex mit der Investitions-Ankündigung von einer halben Milliarde Euro verbunden. Die „FAZ” spekuliert am 20.09.17: „Ohne den größten Anteilseigner von Haldex kann niemand etwas ausrichten. Auch dürften die Friedrichshafener nun gemeinsame Projekte mit den Schweden erwägen, um in einem bislang nicht vertretenen, aber wachsenden Segment mit dem Angebot von Spezialbremsen präsent zu sein.”
Selbst beim Haldex-Vorstand sind aber seit der öffentlichen Absage von ZF anlässlich des Knorr-Stopps durch die SSC die Hoffnungen auf den finanzkräftigen Partner gedämpft. Auch nach dem endgültigen Rückzug von Knorr-Bremse hat ZF nochmals bestätigt: “Wir haben keinen Grund, erneut ein Angebot für Haldex abzugeben” (nach “Schwäbische Zeitung”, 19.09.17). Die “Stuttgarter Zeitung” glaubt: “Derzeit versuchen die Friedrichshafener das nötige Know-How für den LKW-Bereich selbst zu erarbeiten.” Auch die Öffentlichkeit in Schweden geht mittlerweile kaum mehr von einen neuen Übernahmeangebot von ZF aus. „Affärsvärlden“ beklagt am Abend des 19.09., es sei „bereits viel Schaden eingetreten“. Haldex habe „an Dynamik verloren“ und „musste Energie auf Dinge legen, die das Geschäft nicht vorantreiben“. „Affärsvärlden“ weiter: „Die finanziellen Mittel von ZF hätten wahrscheinlich dazu beigetragen, Haldex eine lukrative Zukunft zu bieten. Dass ZF heute Nachmittag angekündigt hat, keinen Grund zu haben, Haldex ein neues Angebot zu unterbreiten, muss als traurige Nachricht eingestuft werden.” Das „Oberbayrische Volksblatt“ stellt fest: „Insider betonen: Haldex ist nicht mehr dasselbe Unternehmen wie vor Beginn der Übernahmeschlacht: Viele Know-How-Träger haben das Unternehmen verlassen.“
Die eigentlichen Ursachen für das Abwinken von ZF dürften aber eher davor und tiefer liegen. Denn schon im Rahmen der Besuche anlässlich des Übernahme-Angebots im Sommer 2016 hatten ZF-Verantwortliche geäußert, man habe bei Haldex „viel mehr an Knor-How, Innovation und Entwicklungs-Potenzial erwartet“. Nicht umsonst hat ZF-Boss Sommer im Juli 2017 auch eine Übernahme des zweitgrößten LKW-Bremsenherstellers Wabco auf den Weg gebracht, bevor ihn der Aufsichtsrat kurz vor der Unterschrift noch gestoppt hat. Bei Notbremssystemen kooperieren ZF und Wabco bereits.
Auch der erste Bieter für Haldex, SAF Holland (LKW-Achsenhersteller, Aschaffenburg) hält sich bezüglich Haldex bedeckt, ist laut Branchen-Kreisen selbst der Gefahr eines feindlichen Übernahmeversuchs durch Knorr-Bremse ausgesetzt. Die Eigentumsstruktur von Haldex bleibt prekär. Nach ZF hält Knorr mit 14,9 Prozent die zweitmeisten Aktien und hat am 19.09. noch die Drohung hinterher geschickt: “Hinsichtlich unserer Beteiligung an Haldex werden wir als verantwortungsbewusster Aktionär auftreten und unsere Optionen im besten Sinne des Unternehmens und von Knorr-Bremse nutzen” (nach “Eurotransport”, 19.09.) Mit mehr als zehn Prozent der Aktien kann Knorr sowohl Dividenden als auch außerordentliche Hauptversammlungen fordern. Hinter Knorr folgen bei Haldex noch eine größere Zahl auf Cash scharfer Hedge-Fonds.
„Der Kampf um den Bremsenmarkt geht weiter“ („Handelsblatt“) – Zukunft von Haldex ungewiss
Der Aktienkurs von Haldex (vor dem Rückzug von Knorr 107 schwedische Kronen pro Aktie) ist danach nicht extrem abgestürzt, wie von einigen Börsengurus prophezeit. Unter 100 Kronen (10,41 Euro) ist er bisher nicht gefallen. Offensichtlich hoffen die Aktionäre auf einen baldigen neuen Bieter. Die „Börsen-Zeitung“ fragt sich aber am 19.09.: „Wie stark ist Haldex noch?“ Sollte es dem Haldex-Board nicht gelingen, baldmöglichst eine stabile, langfristige und nachhaltiger interessierte Eignerstruktur zu erhalten, werden die Probleme wieder zunehmen. Die Branchenzeitung “Automobilwoche” kommt zu dem Schluss: „Wie will sich Haldex künftig gegenüber seinen wesentlich größeren Wettbewerbern Knorr-Bremse und Wabco am Markt behaupten und wie sieht die Wachstumsstrategie des Unternehmens aus? Ohne Partner wird es in einer immer komplexeren und zunehmend vernetzten Lastwagenwelt wohl kaum gehen.”
Knorr-Bremse, Wabco und Haldex beherrschen den Weltmarkt in der Branche und haben 2016 zusammen über fünf Milliarden Umsatz verzeichnet. Auf Knorr entfielen dabei 47, auf Wabco 44 und auf Haldex neun Prozent. Das „Handelsblatt“ liest am 20.09. aus der Kristallkugel: „Fraglich ist, wie stark Haldex unter der monatelangen Hängepartie gelitten hat. Neben Knorr, Wabco und Haldex sind chinesicshe Hersteller weitere Player, die aber in Europa keine Rolle spielen. Sie dürften mit ihrem Interesse an der Technologie zu potenziellen Investoren bei Haldex und beim Börsengang von Knorr-Bremse gehören. Der Kampf um den Bremsenmarkt geht also weiter.“
Wie sieht es im Haldex-Werk Heidelberg aus?
Belegschaft, Betriebsrat und IG Metall haben den Stopp von Knorr-Bremse begrüßt. Aufatmen und Erleichterung gab es auch bei Hunderten Ehemaligen des über 90 Jahre alten Traditions- und früher gewerkschaftlichen Kampf- und Streikbetriebs. Ein Jahr Widerstand, auch in Offenen Briefen an Thiele, Deller und Co. deutlich formuliert, haben sich für die Restbelegschaft gelohnt. Euphorisch wie bei Board und Vorstand von Haldex fällt die Freude bei den Beschäftigten allerdings nicht aus. Die Schwierigkeiten und Fragen, wie es strategisch und personell weiter geht, bleiben. Haldex hat im Zuge des von Knorr ewig hingezogenen Deals enorm an Aufträgen, Kunden und Beschäftigten verloren. Wie dringend notwendige Investitionen vorgenommen und finanziert werden können, ist unklar.
Ob weiter selbstständig oder nicht – entscheidend für die Zukunft des Gesamtunternehmens Haldex wird sein: Welche Festlegungen werden strategisch, operativ und hinsichtlich Produktentwicklungen getroffen und werden Fehler der vergangenen Jahre wie Verlegung der Entwicklung von Heidelberg nach England oder laufende Produktionsverlagerungen in sogenannte Billiglohnländer wie Ungarn korrigiert. In Ungarn bewegt sich der Umsatz deutlich unter dem des Heidelberger Betriebs, obwohl die Beschäftigten-Zahl inzwischen fast dreimal so hoch wie hier ist. Wenigstens konnte aber in Heidelberg Ende September erstmals wieder die Übernahme von vier Befristeten erreicht werden.
Das Heidelberger Haldex-Werk (bis 1998 GRAU-Bremse) konnte nach 1984 und ’97 jetzt zum dritten Mal der Übernahme und Zerschlagung durch Knorr-Bremse entrinnen. Für die derzeit 110 Beschäftigten steht als Nächstes im Blickpunkt: Die Laufzeit des 2014/15 abgeschlossenen Standort- bzw. Firmentarifvertrags zwischen Haldex und IG Metall geht nur bis 30.06.2018. Aus Sicht von Belegschaft und IG Metall ist unabdingbar, dass rechtzeitig langfristige Vereinbarungen getroffen werden, um den Beschäftigten weiterhin Existenz und Perspektive zu garantieren.
Heinz Hermann Thiele (“HHT“) – ein Mann will an die Börse
Thiele wäre nicht Thiele, wenn er das Platzen des Haldex-Deals am 19.09.17 nicht gleichzeitig mit einem neuen “Zukunfts-Highlight” seines Imperiums verknüpft hätte: Derzeit werde “vorrangig und intensiv geprüft”, für Mitte 2018 den “IPO (Initial Public Offering”) zu vollziehen, den Börsengang von Knorr-Bremse. Da sein Konzern auf acht Milliarden Euro geschätzt wird, würde “HHT“ unter Beibehaltung der Stimmrechtsmehrheit rund vier Milliarden Euro einsacken. Mit dann 16 Milliarden Vermögen könnte er sich noch mehr als Angreifer in der Branche betätigen. Vorstands-Vorsitzender Deller zu den „neuen Zielen“ nach dem Haldex-Schiffbruch: „Wir werden nun andere Alternativen verfolgen.“ In Berlin konnte Knorr-Bremse Ende September gegen sieben Monate Widerstand von Belegschaft und IG Metall am Ende die Schließung der Produktion von Hasse & Wrede und Verlagerung nach Tschechien durchdrücken. Knapp die Hälfte der Belegschaft muss gehen; allerdings verzögert um ein dreiviertel Jahr zum 31.07.18, mit einjähriger Transfergesellschaft und durchschnittlichen Abfindungen von 1,5 Monatsentgelten pro Beschäftigungsjahr – was es bei Knorr noch nie gab. Tausende Beschäftigte lässt man weiterhin 42 statt 35 Wochenstunden arbeiten, davon fünf unbezahlt. Von 1926 bis 1985 war Knorr-Bremse auch in Mannheim am Werk, als Eigentümer der Mannheimer Motorenwerke (MWM, heute zu Catarpillar). Thiele fädelte dann den Verkauf an