Übernahmefrist erneut um drei Monate bis 26.September verlängert Knorr-Bremse zieht Haldex-Deal weiter in die Länge
Mitte April hat der Knorr-Bremse-Vorstand bekanntgegeben, man habe bei der schwedischen Börsenaufsicht „Swedish Securities Council (SSC)“ einen weiteren Antrag auf Verlängerung der Übernahmefrist für den Konkurrenten Haldex bis 26.09. eingereicht. Das schwedische Aktienrecht sieht einen längeren Zeitraum als neun Monate nicht vor. Dies hat es auch noch nie gegeben. Trotzdem hat die Behörde die Ausnahme-Genehmigung Ende April erteilt. Haldex war zuvor von der Behörde um Stellungnahme gebeten worden und hatte auf Einwände verzichtet.
Seit Dezember sind 86,1 Prozent der Haldex-Aktien Knorr-Bremse „angedient“. (Das Kommunal-Info hat mehrfach berichtet.) Einen offiziellen Antrag auf Genehmigung des Erwerbs von Haldex hat der Weltmarktführer für Nutzfahrzeugbremsen Knorr-Bremse bei den europäischen Kartellbehörden bis heute nicht gestellt. Die letzte aktienrechtliche Frist für eine Übernahme wäre am 16. Juni abgelaufen. Einmal eingereicht, hat die europäische Kommission 35 Arbeitstage, dann muss sie ihre Entscheidung über den Antrag verkünden. Knorr-Bremse hätte also nur bis 28.04. Zeit gehabt, eine Übernahme offiziell zu beantragen. Um dies zu umgehen wurde die dritte Verlängerung bis 26.09. in die Wege geleitet.
Presseorgane sprachen von „Gegenwind bei Haldex-Übernahme“ (Handelsblatt, 19.04.) und „Haldex-Deal wackelt immer stärker“ (Finance Magazin 20.04.) Laut Knorr-Bremse sei „Hintergrund des Antrags“, dass die „Chancen einer Kartellfreigabe zu vertretbaren Bedingungen für Knorr-Bremse deutlich verbessert werden, wenn mehr Zeit gewährt werde“, auch um „mögliche Maßnahmen für etwaige Auflagen vorzubereiten“ (DGAP-Finanznachrichten, 19.04.17). Nächste Auslauffrist für einen offiziellen Übernahmeantrag ist damit der 08.08.2017 (sieben Wochen vor 26.09).
Betriebsrat Haldex und IG Metall Heidelberg generell skeptisch
Betriebsrat und IG Metall sehen auch die Ausdehnung der Übernahmefrist auf 12 Monate mit Skepsis: Wenn Knorr-Bremse als Begründung anführt, man wolle den Kartellbehörden „umfangreichere und detailliertere Informationen zur Verfügung stellen“, stellt sich die Frage, was man in den abgelaufenen acht Monaten gemacht hat. Eine andauernde Hängepartie und Unsicherheit kann nur zu weiterer Schwächung von Haldex führen, nachdem im vierten Quartal 2016 erstmals seit Jahren auch wieder Verluste geschrieben wurden. Im Quartalsbericht März 2017 klagt der Haldex-Vorstand: „Das Risiko, dass Beschäftigte das Unternehmen verlassen und wir Probleme haben, neues Personal zu rekrutieren, nimmt zu“ – für Knorr-Bremse willkommene Erscheinungen. Als Interims-Vorstand Finanzen hat Haldex gerade ein erst 2015 selbst gegangenes ehemaliges Mitglied zurückgeholt und für den Aufsichtsrat einen Pensionär (vor Jahren Vorstandsvorsitzender).
Die mehrmaligen Verlängerungen seitens Knorr-Bremse bestärken Zweifel, ob Haldex wirklich erworben und fortgeführt werden soll. Denn als Weltmarktführer, der alle acht Haldex-Hauptproduktlinien ebenfalls herstellt, braucht Knorr den kleineren Konkurrenten nicht. Schon im Herbst 2016 wurde daher überwiegend vermutet, dass Knorr-Bremse nur eine Verbindung ZF/Haldex, also einen starken Konkurrenten verhindern wollte und deshalb ZF ausgestochen hat (nachdem ZF zuvor SAF Holland überboten hatte). Dieses Ziel hat der Knorr-Vorstand im Dezember mit seinem extrem überhöhten Angebot von 580 Millionen Euro erreicht, das in etwa beim Dreifachen des sonst in der Branche Üblichen liegt. Haldex macht mit 2 100 Beschäftigten rund 500 Millionen Euro Umsatz. Die Anlasser-Sparte von Bosch mit 7 000 Beschäftigten und 1,4 Milliarden Umsatz wurde gerade für 545 Millionen Euro an den chinesischen Autozulieferer ZMJ verkauft.
Im Hinblick auf die Zukunftsmusik autonomes Fahren von LKW ist oberstes Ziel von Knorr-Bremse, Lenkung, Steuerung, Bremsen, Achsen, Elektronik alles unter sein Dach zu bringen. Inzwischen wird Vorstandsvorsitzender Deller in der Presse zitiert, man werde noch mit „einigen Überraschungen“ aufwarten. Am 07.04. berichtet die Zeitschrift Produktion, in Börsenkreisen werde spekuliert: „Schluckt Knorr-Bremse jetzt SAF Holland?“ Finanzen.net wiederum stellt am 13.04. fest: „SAF gilt als möglicher Käufer für Haldex-Abspaltungen.“ Dieses Interesse vermutet die Schwäbische Zeitung auch bei ZF: „Der Zulieferer ZF, der noch immer rund 20 Prozent von Haldex hält, äußerte sich: ‘ZF hält weiterhin einen nicht unwichtigen Anteil an Haldex, wir sind an einer positiven Entwicklung des Unternehmens interessiert’, sagte ein Sprecher.“ Das Karussell dreht sich heftig – für die Haldex-Belegschaften alles Andere als positiv.
Selbst der Haldex-Vorstand deutet mittlerweile an, was vom Spiel von Knorr-Bremse zu halten ist. So hat er Ende März den Beschäftigten vieldeutig mitgeteilt: „Die einzig realistische Option für Haldex, eine Teilnahme an den Szenarien-Planungen (im Zusammenhang mit laufenden Prüfungen seitens der Kartellbehörden) abzulehnen, wäre, wenn wir beweisen könnten, dass der Deal nicht passieren wird.“ Ebenso ist im Zusammenhang mit dem Zurückholen eines Ex-Vorstandsmitglieds (siehe oben) von „Überbrücken des intensiven Übernahmeprozesses“ die Rede. Und: „Wir können unseren beteiligten Interessengruppen versichern, dass wir fortfahren, Haldex als eigenständiges Unternehmen mit einer Langzeit-Strategie und starker Kunden-Verpflichtung fortzuführen.“
Der neue Vorstands-Vorsitzende, CEO Ake Bengtsson, will einen der Gründe für das Interesse an Haldex in der „Entwicklung von autonom fahrenden LKW“ ausmachen. Dabei könne die Technologie von Haldex „eine prominente Rolle“ spielen. Auch der Anfang Mai neu gewählte Aufsichtsrats-Vorsitzende Jörgen Durban „mit Erfahrung in Unternehmens und Aquisitions-Recht“ hat in der Aktionärshauptversammlung am 04.05.17 versucht, der Führung und sich selbst Mut zuzusprechen: „Haldex ist in einer sehr interessanten Situation. Das Unternehmen hat es geschafft, den Fokus auf das laufende Geschäft zu halten, was beeindruckend ist, wenn man betrachtet, wie lang Haldex sich selbst in einer unsicheren Eigentümer-Situation befindet.“ In einer Belegschaftsversammlung in Heidelberg in der ersten Mai-Woche hat das schwedische Vorstands-Mitglied Produktion sinngemäß ausgeführt: Man müsse sich weiter auf das tägliche Geschäft konzentrieren, egal ob künftig unter Knorr-Bremse oder weiterhin als eigenständiges Unternehmen, wenn Alles vorüber sei.
Gefahr einer Filetierung von Haldex
Knorr-Bremse zielt in erster Linie darauf ab, Haldex als Konkurrenten möglichst zu schwächen und weitgehend vom Markt zu entfernen. Laut Pressemitteilung vom 20.04. wolle man mit dem erfolgten Verlängerungs-Antrag „die Einreichung bei den EU-Kartellbehörden optimieren und sicherstellen, dass die beste Vorgehensweise gewählt wird.“ Im Hinblick auf mögliche Kartellamts-Auflagen und -Einsprüche verbreitet Vorstands-Vorsitzender Deller aber schon seit einiger Zeit: „Es gibt ja auch Notfallpläne, falls ein Kernkraftwerk explodiert“ (Handelsblatt, 27.03.17). Immer mehr schält sich heraus, was das heißen kann: Eine beabsichtigte Filetierung und Zerlegung von Haldex – indem Knorr-Bremse den kleineren Konkurrenten unter Berufung auf Kartellamts-Auflagen und im Zusammenspiel mit ZF, SAF Holland und anderen nach Bereichen und Produktgruppen aufteilen und den Rest am Markt verscherbeln könnte.
Herauslesen lässt sich das auch aus einer Information des Haldex-Vorstands an die Beschäftigten Ende März: „Knorr-Bremse erstellt Szenarien-Planungen für sich überschneidende Produkte unserer jeweiligen Geschäftsfelder. Diese beinhalten Alternativen wie: ‘Beide halten, Haldex- und Knorr-Bremse-Produkte’ oder ‘Haldex-Produkte halten’ oder ‘Knorr-Bremse-Produkte halten’. Theoretisch sollte jedes Szenario umfangreich genug sein, um das Produkt einem potenziellen externen Käufer anbieten zu können.“ Damit werden auch Befürchtungen von Knorr-Bremse-Beschäftigten bestätigt, dass auch sie von Auswirkungen des Haldex-Deals negativ betroffen sein könnten.
Ob der Termin 26.09. wirklich der letzte ist, ist fraglich. Der Haldex-Vorstand hat den Beschäftigten bereits mitgeteilt, ob die schwedische Börsenbehörde einen möglichen weiteren Antrag von Knorr-Bremse sogar über 12 Monate und die derzeitige Ausschlussfrist Ende September hinaus genehmigen würde, wisse man nicht, da es einen solchen Fall noch nie gegeben habe.
Zu rechnen ist bei Knorr-Bremse mit allem. Ob man Haldex letztlich wirklich kauft und fortführt oder den Konkurrenten nur möglichst lang schwächen und am ausgestreckten Arm verhungern lassen oder am Ende unter Berufung auf Kartellamts-Auflagen im Zusammenspiel mit anderen Interessenten filetieren und zerlegen will – das scheinen nur Milliardär und Knorr-Bremse-Eigner Heinz-Hermann Thiele, sein Vorstands-Vorsitzender Klaus Deller und ihre eingeweihten Anwälte und Berater zu wissen.
Gegenwind für Knorr-Bremse
Nicht nur wegen des Haldex-Deals ist der seit über einem Jahrzehnt tariflich nicht gebundene Knorr-Bremse-Konzern seit einem halben Jahr in den Schlagzeilen. Neben dem Widerstand gegen die angekündigte Verlagerung der Tochter Hasse & Wrede von Berlin nach Tschechien und die Ausdehnung der 42-Stundenwoche im Konzern gibt es derzeit auch eine Auseinandersetzung zwischen Vorstand und Konzern-Betriebsrat, wie hoch die Entgeltanhebung sein soll (der IG Metall-Tarifvertrag sieht zwei Prozent ab 1. April vor). Bereits im März waren alle neun bundesweit betroffenen IG Metall-Geschäftsstellen von Berlin über Heidelberg bis München mit einer gemeinsamen Erklärung an die Öffentlichkeit gegangen und hatten die Praktiken des Konzerns angegriffen. Auch der IG Metall-Vorsitzende Jörg Hofmann und der bayerische DGB-Vorsitzende Matthias Jena haben in ihren jüngsten 1. Mai-Reden in Stuttgart und Passau die Knorr-Bremse-Praxis öffentlich als „Steinzeitkapitalismus“ gegeißelt.
Betriebsrat Haldex und IG Metall Heidelberg haben Knorr-Bremse im Dezember für den Fall einer Übernahme ihre Forderungen übermittelt: Erhalt aller Arbeitsplätze und Standorte sowie der Tarifbindung und der Tarifverträge. Mehr als drei Viertel der Heidelberger Belegschaft bzw. über 80 Prozent der tariflich Beschäftigten haben dies in der ersten April-Hälfte durch ihre Unterschrift unter eine entsprechende Erklärung nochmals bekräftigt. Eine Filetierung wird darin ebenso abgelehnt. Das Schreiben soll nun an Vorstand und Aufsichtsrat von Knorr-Bremse gehen.
(mho)